Wer anderen eine Grube gräbt…
Natalie Ediger, 18. März 2016· Digitales Lernen
Die Bedeutung der Prämisse im Storytelling. – Teil I
Es gibt Geschichten, die uns begeistern. Geschichten, die uns mit zu fernen Orten nehmen und uns tief in die Seelen ihrer Protagonisten blicken lassen. Geschichten, die uns so fesseln, dass wir am liebsten nichts anderes mehr tun möchten als weiter zu lesen, weiter zu schauen oder weiter zuzuhören.
Und dann gibt es Geschichten, die eigentlich das Zeug dazu hätten, das gerade Beschriebene mit uns anzustellen, doch irgendwie will der Funke nicht überspringen. Es macht uns nichts aus, wenn ein Werbebreak die Handlung unterbricht oder es mitten im Film an der Haustür klingelt. Wir stehen auf, um zu öffnen und noch ehe wir die Türe erreicht haben, könnten wir nicht einmal mehr sagen, worum es in dem Film oder dem Buch eigentlich ging.
Dabei liegt es nicht immer an der Sprache oder der Erzählkunst des Schreibers. Es liegt auch nicht unbedingt an der Darbietung der Schauspieler. In vielen Fällen liegt es nicht einmal am Plot.
Und doch: Irgendetwas stimmt nicht. Wir fühlen es ganz genau. Als würde das Schicksal der Figuren an uns vorbeilaufen, uns kalt lassen und uns maximal ein kaiserliches Gähnen entlocken. Und damit sind wir der Sache auch schon ziemlich dicht auf den Fersen. Tatsächlich liegt ein Teil dessen, was wir spüren in der Glaub- oder Unglaubwürdigkeit der Figuren.
Die Grundlage eines jeden guten Dramas ist die Orchestrierung der Figuren. Nur wenn die Positionen der Figuren maximal gegeneinanderstehen, lässt sich auch das Maximum an Drama aus einer Situation abschöpfen. Für die meisten erfahrenen Schriftsteller ist die Orchestrierung eines der ersten Dinge, die sie festlegen, noch lange bevor sie die Figuren in einem Dialog aufeinander loslassen.
Doch wie genau findet man diese Positionen des maximalen Potentials? Ganz einfach: Sie fallen einem beinahe von selbst in die Hände, wenn man sich erst einmal über die Prämisse des Stücks klargeworden ist.
Und was genau ist eine Prämisse?
Zunächst einmal ist eine Prämisse nichts weiter als eine Aussage oder Behauptung, die zu einer Schlussfolgerung führt. Doch für eine Geschichte hat diese Behauptung oder Aussage eine äußerst elementare Bedeutung. Aus ihr entspringt die treibende Kraft der Handlung. Sie ist wie das Samenkorn, aus dem die Pflanze wächst.
Andere Bezeichnungen für das Wort Prämisse wären: Thema, These, zentraler Gedanke, Insight oder Zielsetzung. Ebenso kann die Prämisse auch eine allem zugrunde liegende Emotion ausdrücken.
Entsprechend könnte eine gute Prämisse lauten: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein; oder Faulheit führt in den Ruin; auch Armut begünstigt Verbrechen wäre eine praktikable Prämisse.
Dabei ist nicht entscheidend, ob die Prämisse eine grundlegende Wahrheit enthält. Welche Wahrheit ist schon grundlegend? Wichtig ist vielmehr, dass das Stück und seine Figuren dieser einmal festgelegten Wahrheit treu bleiben. Dass jede Handlung jeder Figur, jeder Turning Point, jedes von außen einfließende Ereignis einzig dem Zwecke dient, die Prämisse zu stützen und zu beweisen.
Wie das im Einzelnen funktioniert wird im 2. Teil dieses Artikels anhand eines meisterlichen Beispiels verraten (dieser letzte Satz ist übrigens ein klassischer Cliffhanger – etwas, das uns ebenfalls im 2. Teil wieder begegnen wird).